Silke Lange: "Ich bin total im Stress" - nach neuesten Studien scheint dieser Zustand für die meisten von uns im Job und im Alltag Normalität zu sein? Aber was genau ist "Stress" überhaupt?
Michael Merks: In einem aktuellen Stressgeschehen lassen sich immer drei Aspekte voneinander unterscheiden:
Diese Reaktion auf Belastungen beschrieb der in Kanada forschende Mediziner Hans Selye 1936 erstmals mit dem Wort "Stress" (Englisch für Druck oder Belastung). Die Belastung kann dabei ganz unterschiedliche Ursachen haben.
Stress können wir uns vorstellen als die automatisierte Reaktion auf eine als belastend empfundene Situation, wie ein Streit mit dem Partner, Geschrei der Kinder, den cholerischen Ausbruch eines Kollegen oder die verspätete Bahn, oder als belastend wirkende Gedanken, wie "wie es jetzt wohl in der Firma weitergeht", "die Rente reicht doch nie im Alter". Diese Situationen "stressen" den Körper und stellen den Organismus auf die Bewältigung der Herausforderung ein.
Dauerstress ist heute bei vielen Menschen ein Normalzustand. Das französische Institut IFAS (Institut d'Action sur le Stress) untersucht seit 1998 gemeinsam mit französischen Unternehmen die Ursachen von Stress und befragte Tausende von Mitarbeitern. Die Wissenschaftler fanden heraus: In Unternehmen leidet jede dritte Frau und jeder vierte Mann an einem riskant hohen Stressniveau. Die Zahlen dürften heute, 2009, eher höher liegen.
"Stress reduzieren" ist ist der Wunsch Nr. 1 für 2009 bei einer Umfrage einer Ersatzkasse.
Silke Lange: Ist Stress immer etwas Negatives?
Michael Merks: Stress ist nicht per se schlecht. Je nachdem, ob die Belastung zu einem Erfolg oder einem Misserfolg führt, empfinden die Menschen Stress als angenehm oder unangenehm. Selye nannte diese beiden Empfindungen "Eustress" und "Disstress". Belastung kann belohnend wirken, wenn zum Beispiel eine Aufgabe erfolgreich erledigt wurde. Und sie kann fördernd wirken - wie z.B. beim Lernen.
Silke Lange: Was sind die Ursachen für negativen Stress/negatives Stressempfinden? Ist es zum Beispiel der Druck oder die Überlastung bei der Arbeit oder kann man Gelassenheit lernen?
Michael Merks: Ursachen für negativen Stress/negatives Stressempfinden können inhaltlich völlig unterschiedlich sein. Beispiele für Stressoren:
Sie sehen, es können sehr unterschiedliche Auslöser für eine Stressreaktion sein. Die stärkste Kraft gegen Stressreaktionen können wir auf mentaler und körperlicher Ebene selbst entwickeln. Wir können lernen, unsere Gedanken gezielt zu steuern. Wir können unsere Einstellungen überdenken und ändern. Wir können gezielt unsere Emotionen steuern. Ein Schlüssel kann auch sein, sein eigenes Selbstwertgefühl zu stärken. Wir können zudem ganz bewusst trainieren, Ruhe und Gelassenheit körperlich zu erleben, im akuten Stressfall zu halten oder schnell wieder herzustellen.
Silke Lange: Es gibt ja Menschen, die scheinen nie in Stress zu geraten, auch unter Druck reagieren sie gelassen. Ist das eine vererbte Anlage oder kann man Gelassenheit lernen?
Michael Merks: Bei allen Menschen sind die normalen Mechanismen der Stressreaktion angelegt. Doch wachsen wir mit unterschiedlichen Vorbildern auf, die wir als Kind beobachten. Unsere Werte, Einstellungen und Reaktionen sind deshalb unterschiedlich - auf dieselbe Situation reagieren Menschen deshalb auch sehr unterschiedlich. Zum Trost für alle: wir können, solange wir leben, lernen, wie wir mit den äußerlichen - und auch mit den inneren, mentalen - Herausforderungen umgehen wollen - wir können Gelassenheit lernen, ja geradezu richtig trainieren, wie wir auch andere Dinge gelernt haben und immer noch lernen können. Die meisten Methoden sind sogar leicht erlernbar und direkt umsetzbar.
Silke Lange: Wie lerne ich Gelassenheit? Haben Sie dafür Beispiele?
Michael Merks: Strategie 1: Analysieren Sie Ihre Situation
Strategie 2: Entwickeln Sie Mentalkompetenzen, mit denen Sie schnell Stress reduzieren und dauerhaft bewältigen können
In einer Kurzform können wir uns aus einer Stressfalle befreien, indem wir
Strategie 3: Körperkompetenzen stärken
Strategie 4: Lassen Sie locker
Sie erreichen viele Ziele leichter, wenn Sie lernen, locker zu lassen, Ihren übertriebenen Ehrgeiz zu zügeln, Ihr Anspruch, alles schaffen zu müssen und einmal weitgehend auf "ich bin multitaskingfähig" verzichten - eins nach dem Anderen.
Silke Lange: Gibt es Notfall-Hilfen für stressige, belastende Situationen, die sofort wirken?
Michael Merks: Ja, es gibt einige sehr wirksame Notfall-Hilfen - hier die 4-Schritte-Strategie